Aurich. Sie hat beim Landesentscheid der besten Gesellen im Oktober eines der Siegertreppchen erklommen. Jamie-Lee Ellwein ist die beste Sattlerin Fachrichtung Fahrzeugsattlerei im Ländle und ab heute heißt es Daumen drücken: In Bremen misst sich die 20-Jährige bis Samstag im bundesweiten Contest mit der Konkurrenz.
Ein altes Handwerk, dessen Ursprung Jahrhunderte zurückliegt, hat die junge Frau aus Aurich gelernt. Als das Pferd als Nutztier gefordert war und Anfertigung und Reparatur von Zaumzeug, Sattel und Kutschverdeck an Bedeutung gewann, kristallisierte sich das Berufsbild heraus. 1884 wurde der Bund der deutschen Sattler-, Riemer-, Täschner- und Tapezierer-Innung gegründet. „Damit war der erste Schritt zur heutigen Verbandsstruktur getan“, schreibt der Fachverband des Deutschen Sattlerhandwerks.
Mit der Industrialisierung und spätestens mit der Erfindung des Automobils erweiterte sich das Berufsbild des Sattlers dann gravierend: Jetzt mussten Sitzpolster und Verdecke gefertigt werden, und auch Planen zum Schutz der Ware auf Lkw wurden gebraucht.
Schon während ihrer Schulzeit an der Ferdinand-Steinbeis-Realschule in Vaihingen absolviert Ellwein mehrere verschiedene Praktika. Zwar habe ihre Lehrerin, als die Mittlere Reife nahte, eine Fortsetzung der Schullaufbahn mit anschließendem Studium empfohlen. Doch sie habe schnell finanziell unabhängig sein und „was anderes machen“ wollen, sagt Jamie-Lee Ellwein. „Meine Mama hat mir ganz arg geholfen“, blickt die Junggesellin zurück. Messen werden besucht und die Agentur für Arbeit konsultiert. „Ich wollte auf keinen Fall einen typischen Frauenberuf, weil man da einfach auch zu wenig verdient“, sagt die 20-Jährige.
Mutter Mary habe dann die Idee mit dem Beruf des Sattlers ins Spiel gebracht. Dieser vereint tatsächlich zwei Passionen der Schülerin in sich. Zum einen hatte sie schon selbst mit Nadel, Faden und Nähmaschine alte Klamotten aufgepeppt. Zum anderen war sie schon immer gerne dabei, wenn der Papa als gelernter Automechaniker am Fahrzeug gewerkelt hat. „Finger schmutzig machen, das hat mir Spaß gemacht“, sagt sie. Automechaniker will sie jedoch nicht werden, weil besagter Spaßfaktor mit dem Einzug der Elektronik in die Fahrzeuge doch gelitten habe.
Bei der Firma Porsche absolviert sie noch in Schulzeiten ein mehrtägiges Praktikum in der Sattlerei, „das hat mir ziemlich Spaß gemacht“. Sie bewirbt sich dort auch auf einen Ausbildungsplatz, aber es klappt nicht. Dafür startete sie ihre Ausbildung zur Sattlerin Fachrichtung Fahrzeugsattlerei bei Lederkonzepte Kaai & Bosch in Ludwigsburg.
Der Schwerpunkt dort liegt auf Oldtimern, „das hat mir sehr gefallen“. Für betagte Motorräder neue Sitze und Sitzbänke gestalten, alte Sitze neu beziehen, Reparaturen am Leder durchführen, nehmen viel Zeit der Ausbildung in Anspruch. Aber auch Autos kommen zu ihr in Behandlung, wenn beispielsweise das Leder abgewetzt ist und sogar die Innenausstattung eines Eiscafés gilt es zu fertigen.
Mitunter ist ziemlich Muskelschmalz gepaart mit Fingerspitzengefühl gefragt, wenn zum Beispiel ein Fahrersitz ausgebaut werden muss, der Lack aber keine Spuren davontragen darf. „Wenn ich ein Produkt neu anfertige, dann habe ich einen Schäumling“, erklärt Jamie-Lee Ellwein, die ihren Vornamen der US-Schauspielerin Jamie Lee Curtis verdankt, die bei den Eltern hoch im Kurs stand.
Der Schäumling – nicht zu verwechseln mit dem schwäbischen Schäumle aus der Backstube – ist ein Schaumstoffblock, der mit Säge und Raspel in die gewünschte Form gebracht wird. Bei Oldtimern seien die Sitze mitunter auch noch mit Kokosfasern, Stroh oder Rosshaar ausgepolstert.
Nach dem Schäumling folgt das Fertigen der Schablonen, mit deren Hilfe später das Material für den Bezug ausgeschnitten wird. „Die Schablonen nehmen die meiste Zeit in Anspruch, da muss man genau arbeiten, sonst passt der Bezug nachher nicht“, sagt Ellwein.
Danach werden die Umrisse aufs Material – Leder, Kunstleder oder Stoff – übertragen ausgeschnitten und der Bezug genäht. Verbundnaht, Ziernaht – bei Rundungen mit dickem Leder kann das ganz schön fummelig sein.
Auch wenn das Material selten oder besonders wertvoll ist, steige die Anspannung: Man habe nur eine Chance, denn „wenn die Nadel durchs Leder gegangen ist, sieht man das Loch. Bei wertvollem Material steht man schon unter Strom“, verdeutlicht die Sattlerin. Die Fertigung eines Motorradsitzes samt Schäumling nehme so um die vier Tage in Anspruch, „wenn’s was Schickes ist, sechs bis sieben Tage“.
Bei der Gesellenprüfung an der Feuerbacher Kerschensteinerschule im Juli werden ihr 15,5 Stunden auf drei Tage verteilt zugestanden, um den Sitz eines BMW E 36 Coupé auseinanderzubauen und neu aufzubauen. Die Mappe, die dazu abgegeben werden muss, bezieht sie mit Leder und näht das BMW-Logo rein.
Der Sitz – Nappaleder schwarz – wird ihr Siegersitz. Sie ist Kammersiegerin, im Oktober wird sie mit dem Leder-Duo aus Sitz und Mappe Landessiegerin. Stolz? „Ja klar, das hätte ich nicht gedacht, dass ich so weit komme,“ Wobei: Der Sitz sei gut, klar. Aber eigentlich kann sie es noch besser, meint Ellwein. Doch bei der Gesellenprüfung musste eben mit der gegebenen Zeit ein optimales Ergebnis erreicht werden.
In Bremen messen sich ab heute die landesbesten Sattler und Raumausstatter, es geht um das Treppchen für den Bundessieg. Dort muss etwas Neues geschaffen werden, was, sei noch nicht bekannt. „Daumen drücken wäre nett“, meint die Auricherin auf Nachfrage. Nach Abschluss der Ausbildung wechselte Jamie-Lee Ellwein in die Industrie – nach Zuffenhausen zur Firma Porsche in die Sattlerei. „Das macht Spaß“, sagt sie. Nur der Arbeit an den Oldtimern, der trauert sie doch noch etwas nach.
Sattler der Fachrichtung Fahrzeugsattlerei ist ein dreijähriger anerkannter Ausbildungsberuf in Industrie und Handwerk. Sattler dieser Fachrichtung beziehen und polstern Autositze, bringen Inneneinrichtungen für Fahrzeuge an, montieren Verdecke für Cabriolets sowie Planen für Lkws. Beschädigte und alte Ausstattungen reparieren und restaurieren sie. Informationen zum Berufsbild im Internet zum Beispiel bei berufnet.arbeitsagentur.de
Quelle: Vaihinger Kreiszeitung vom 16.11.2017, Foto: Rücker/p